Wie ein Sprungins kalte Wasser

Der 21-jährige Toni war ein Jahr lang mit kulturweit an einer Schule in Griechenland eingesetzt. Sein Fazit: „Ein Auslandsjahr zu machen, lohnt sich.“ 

Mittwoch, 8 Uhr morgens auf dem Areal der Neuen Schule Athen im südlich der Hauptstadt gelegenen Stadtteil Ilioupoli. Bunte Fähnchen und Girlanden hängen an den Außenwänden des modernen Gebäudes und flattern im Wind. Die farbenfrohe Dekoration hat ihren Grund: Die Neue Schule Athen feiert in diesem Jahr ihr 10-jähriges Bestehen. Hier lernen Kinder Deutsch als Zweitsprache, um am Ende der 6. Klasse das Sprachniveau B1 zu erreichen. Aus der Tür der Schule tritt ein großer Blondschopf. Es ist Antonio Kollek, genannt Toni, 21 Jahre alt, gebürtig aus Essen. Der junge Mann hilft Kindern dabei, Deutsch zu lernen und bereitet sie auf ihre Abschlussprüfung vor. „Mir war schon während des Abiturs klar, dass ich ins Ausland will“, erzählt Toni der Griechenland Zeitung. Sein Wunschort: Griechenland. 

Vom Chaos lernen in Athen 

Durch eine Internet-Suche stieß er auf den Freiwilligendienst „kulturweit“ – ein Programm der deutschen UNESCO-Kommission, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Toni bewarb sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Ausland und hatte Glück: Er bekam ein Platzangebot für Griechenland. Schnell fand Toni dann eine Wohnung im Zentrum von Athen. An den Trubel der Stadt musste er sich erstmal gewöhnen: Verkehrschaos, Lärm und Hektik setzten ihm in den ersten Tagen zu. „Mir kam es wie komplette Anarchie vor, doch bald habe ich gemerkt, dass es eine Ordnung im Chaos gibt, denn irgendwie funktioniert ja doch alles.“ Es ist 8.15 Uhr. Toni sitzt mit den Lehrern der Schule im Lehrerzimmer. Da in Griechenland aktuell Sommerferien sind, bietet die Schule das sogenannte Sommercamp an – für Eltern, die ihre Kinder während der Ferien beschäftigen und fördern wollen. Man kann sich AGs in den Bereichen Theater, Kunst und Sport aussuchen; manche machen auch Privatunterricht, um ihr Deutsch zu verbessern. Draußen auf dem Hof spielen einige Kinder. An einem normalen Schultag würden sie sich um diese Uhrzeit, zusammen mit den Lehrern, auf dem Schulhof versammeln und beten, erzählt Toni. „Anfangs war das für mich ein kleiner Kulturschock, weil das an deutschen Schulen ja nicht der Regelfall ist“, so der FSJler. Um 9 Uhr beginnt dann das Campprogramm, und die Grundschüler starten spielerisch in den Unterricht. Die Sportlehrerin hat ein Hütchenspiel auf dem Pausenhof aufgebaut. Die Kinder rennen umher, kreischen, lachen und haben Spaß. Toni erfährt, dass an diesem Tag die Zweitklässler in die Schwimmhalle und die Kindergartenkinder ans Meer gehen. Er bleibt also in der Schule und hilft in der Aula aus. Hier läuft gerade der Englischunterricht – mit Luftballons und Hula-Hoop-Reifen. Toni redet mit den Kindern aber auf Deutsch – das ist auch so gewollt von der Schulleitung. Die bilinguale Grundschule soll zwar die griechische Identität der Kinder stärken, sie aber auch täglich in Kontakt mit der deutschen Sprache bringen. „Um das zu erreichen, sind unsere Freiwilligen auch beim Unterricht auf Griechisch oder Englisch anwesend, um das Deutsche reinzubringen“, sagt Mitarbeiter Paul Stafford, dessen Sohn bereits die Schule besuchte. 

Nähe zu den Kindern 

Nach einer kurzen Pause, die Toni am liebsten in einem Café in der Nähe der Schule verbringt, steht Privatunterricht auf dem Plan. Gemeinsam übt der FSJler mit einem achtjährigen Grundschüler einige Hör- und Schreibaufgaben. „Du kannst schon sehr gut Deutsch“, lobt Toni den Jungen. Anschließend geht es für den Freiwilligen weiter in den Deutschunterricht einer sechsten Klasse, deren Schüler gerade dabei sind, sich auf Deutsch vorzustellen. „Stelle ihnen am besten ganz viele Fragen, damit die Kinder so viel wie möglich reden“, sagt die Lehrerin zu ihm. Toni erfährt viel von den Kleinen: Lieblingstiere, Ferienplanung, die Anzahl der Geschwister ... Die Nähe zu den Kindern ist ein besonderes Merkmal der Schule. „Oft kommt es sogar vor, dass die Schüler die Lehrer umarmen; generell sind alle hier sehr herzlich zueinander“, betont Toni. „Für mich war das am Anfang ungewohnt, weil ich das aus Deutschland nicht kenne, aber ich glaube, da können sich die Deutschen auf jeden Fall was von abgucken“, fügt er hinzu. 

Vom kulturellen Austausch profitieren 

Um 13 Uhr ist der Unterricht beendet. Tonis Arbeitstag ist vorüber. Nur noch ein paar Wochen ist er in Athen, dann neigt sich sein Auslandsjahr dem Ende zu. „Ich habe in dieser Zeit so viel über mich selber gelernt“, sagt er. Zum ersten Mal in seinem Leben verließ der Essener sein Elternhaus, lebte allein und musste selbstständig sein. „Es war wie ein Sprung ins kalte Wasser“, so der FSJler. Doch genau dieser Sprung habe dafür gesorgt, dass Toni sich neu entdeckte. Er lernte nicht nur viel über seine eigene Persönlichkeit, sondern auch über sein Heimatland und das Bild der Deutschen in Griechenland. „Die Auslandserfahrung hat mir außerdem gezeigt, wie sehr wir alle vom kulturellen Austausch profitieren, was auch dazu geführt hat, dass ich mich nunmehr für die Idee der EU begeistere“, so der Freiwillige. Lehrer wolle er trotz seiner Zeit bei der Neuen Schule Athen nicht werden. Der Stil der griechisch-deutschen Schule gefalle ihm dennoch gut: „Man merkt, dass Unterricht auch ohne Stress und Striktheit möglich ist“, so der 21-Jährige. Das Arbeiten mit den Kindern habe ihn zwar viele Nerven gekostet, es gebe aber auch sehr viel zurück, betont er. Nach seinem FSJ möchte Toni studieren. Politikwissenschaften – auch im Ausland. Italien oder Belgien zieht er in Erwägung. Dass es ihn noch einmal nach Griechenland verschlägt, sei möglich. „Das Land ist doch eigentlich perfekt – das Wetter, die Kultur … Nicht ohne Grund kommen so viele Touristen hierher.“ Toni ist außerdem überzeugt: „Ein Auslandsjahr zu machen, lohnt sich. Jeder kann daran wachsen.“ Für den FSJler geht es nun an den Strand, um den Tag ausklingen lassen. Zeit zum Entspannen, denn morgen steht ein neuer Arbeitstag an – vollgepackt mit Unterricht, Spaß und neuen Erfahrungen.

 

*Der Artikel über Antonio wurde im Juli 2024 in der Griechenland Zeitung von Nils Sänger veröffentlicht: 

  • Antonio im Unterricht in einem Klassenzimmer
  • Das Schulgebäude von außen
  • Antonio im Unterricht mit Kindern, die mit Reifen und Ballons spielen