Persönliche Motivation
Mein ganzes Leben lang haben meine Eltern versucht, mir mein Leben so zu gestalten wie das von gesunden Menschen. Das hat sich nicht nur in ihrer Erziehung, sondern auch in meiner Einstellung dem Leben gegenüber widergespiegelt. Bis zu einem gewissen Punkt war das wohl auch gut und richtig. Denn warum sollte ich nicht alles dafür tun, ein möglichst „normales“ Leben zu führen? Es fiel mir keine logische Antwort auf diese Frage ein, weshalb ich auch einen Freiwilligendienst im Ausland erst einmal mehr oder weniger schnell in die Planung meiner Zeit nach dem Abitur aufgenommen habe.
Doch, so sehr man es auch möchte, wird man als Mensch mit Behinderung leider immer wieder ausgebremst und muss manchmal akzeptieren, dass noch gewisse Hürden in unserer Gesellschaft bestehen, mit denen man klarkommen muss oder deren Überwindung mehr Organisation erfordert. Diese Barrieren sind mir sowohl bei der Vorbereitung als auch beim Antritt des Freiwilligendienstes umso bewusster geworden.
Diese Erfahrung möchte ich aus zweierlei Gründen teilen. Zum einen ist es natürlich auch für mich selbst hilfreich, das Erlebte zu reflektieren, zu verarbeiten und daraus zu lernen und daran zu wachsen. Zum anderen – und das ist die größere Motivation – möchte ich anderen Menschen, die selbst behindert werden, davon erzählen. Denn ich habe die Hoffnung, dass für diese dann nicht nur die Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt einfacher ist, sondern dass sie sich auch auf eventuell auftretende Situationen einstellen können und einen Erfahrungsbericht einer Person haben, die ebenfalls mit einer Behinderung lebt.
An dieser Stelle möchte ich einmal deutlich machen, dass ich auf keinen Fall für alle Freiwilligen (mit oder ohne Behinderung) sprechen kann und möchte. Ich bin lediglich Expertin in eigener Sache und glaube, dass es zu teilende Aspekte gibt, die auch für viele andere nützlich sein könnten. Konkretes ist sowohl von der eigenen Behinderung als auch von der Art des Freiwilligendienstes, der Dauer und dem Einsatzland abhängig.
Teil 1: Vorbereitungen
Grundsätzlich bestand bei mir erst einmal die Angst, dass ich aufgrund meiner Behinderung (Spina Bifida) nicht für den Freiwilligendienst angenommen würde, weil die Arbeit eventuell als zu hart für mich eingeschätzt würde; schließlich kennen die Zuständigen im Auswahlverfahren sich nicht mit jeder Behinderung aus und das Wort „chronische Erkrankung“ in meiner Bewerbung hätte abschreckend wirken können. Meine Angst richtete sich aber auch in die andere Richtung: Ich wollte auch nicht wegen meiner Behinderung genommen werden, nur weil damit vielleicht irgendwelche Quoten erfüllt würden. Das klingt vielleicht etwas paradox, ich weiß. Aber ich wollte weder wegen noch trotz meiner Behinderung genommen werden, sondern wegen mir selbst als gesamter Mensch. Auch wenn die Versuchung groß ist, würde ich dennoch selbst bei einer online-Bewerbung nichts von der eigenen Behinderung verschweigen; schließlich ist es wichtig, dass für die eigene Gesundheit gesorgt ist und die Einsatzstelle dem entsprechend und mit allen Hintergrundinformationen ausgewählt werden kann. Letztendlich wurde mir ein Naturfreiwilligendienst in Ungarn angeboten, den ich dann auch angenommen habe. Ich war überaus dankbar, einen Platz erhalten zu haben, aber trotzdem konnte ich mir vorstellen, dass mein Wunsch, außerhalb von Europas eingesetzt zu werden, wegen meiner Krankheitsgeschichte nicht erfüllt wurde. Schließlich brauche ich durch meine chronische Erkrankung ein eigenes Badezimmer, einen gewissen Hygienestandard und die Nähe zu medizinischer Versorgung, die in anderen Einsatzstellen – vor allem weiter entfernt und in ländlichen Regionen – vielleicht nicht so gegeben gewesen wäre.
Nachdem mir diese Einsatzstelle zugeordnet wurde, musste ich aber selbst noch einmal überprüfen, was mich in Bezug auf meine Behinderung erwarten würde. Auch wenn ein negatives Ergebnis mich vermutlich nicht von meinem Antritt des Freiwilligendienstes abgehalten hätte, habe ich überprüft, inwiefern in meinem Einsatzland oder konkret in meiner Einsatzstelle mit Ableismus und Diskriminierung von Menschen mit Behinderung in verschiedenen Bereichen des Lebens zu rechnen ist. Zur Situation vor Ort habe ich es als besonders hilfreich empfunden, mit der Ansprechperson, die mich in der Einsatzstelle betreuen würde, direkt in Kontakt zu treten. Dabei kann man sich dann auch über die Hygiene, die medizinische Infrastruktur und die Wohnsituation bei Bedürfnissen wie einem eigenen Badezimmer informieren. Allgemein kann es hilfreich sein, diese Ansprechperson über die eigenen (körperlichen) Bedürfnisse in Kenntnis zu setzen, damit diese vor allem im Notfall informiert ist und auch bei eventuell anfallenden alltäglichen Situationen helfen kann. Das ist durchaus leichter gesagt als getan, da eine Behinderung für viele Menschen eine persönliche bis intime Thematik ist, bei der es ohnehin schwerfällt, sich zu öffnen. Hinzu kommt, dass man diese Ansprechperson bisher vermutlich nur über einen Anruf oder E-Mails kennengelernt hat. Für mich persönlich hat sich dieses Öffnen aber insofern als positiv herausgestellt, als mein Ansprechpartner dadurch besser auf meine Fragen antworten bzw. sich vor Ort entsprechend für mich informieren konnte. Später ist mir bewusst geworden, dass es bei der medizinischen Infrastruktur nicht nur um die Art der ansässigen Ärzt:innen geht, sondern man gerade in einem Land, dessen Sprache man noch nicht beherrscht, eventuell eine Begleitperson zum Übersetzen dabeihaben sollte. Sowohl mit der Einsatzstelle als auch mit der Organisation, mit der man ausreist, gilt es zu abzuklären, ob und wie schnell man – auch wenn man auf eine solche Situation alles andere als hofft – in einem medizinischen Notfall den Freiwilligendienst abbrechen kann.
Der nächste Punkt auf meiner Liste der Aspekte, über die ich mich informieren musste, war eine Krankenversicherung im Ausland. In meinem Fall war dies relativ entspannt, weil wir über die Organisation, über die wir ausreisten, versichert wurden. Wichtig war aber auch für mich, noch einmal genau nachzuschauen, ob davon auch solche Behandlungen abgedeckt sein würden, die mit der Behinderung in Verbindung standen und somit außergewöhnlicher wären. Doch diesbezüglich gab es bei mir keinerlei Bedarf einer zusätzlichen Versicherung.
Aufwändiger war jedoch die Angelegenheit mit den Medikamenten und medizinischen Hilfsmitteln. Mein Aufenthalt in Ungarn hatte eine Dauer von 6 Monaten. Die Situation war also die, dass ich vor meiner Abreise alle Medikamente und medizinischen Hilfsmittel für ein halbes Jahr bekommen musste. So viel wie möglich wollte ich nämlich schon mitnehmen und den Rest per Post von meinen Eltern nachschicken lassen. Ich musste also als Erstes mit einer Ansprechpartnerin meiner Krankenkasse sprechen und ihr meine Situation erklären. Diese meinte dann zu mir, wenn meine Hausärztin mir für dieses halbe Jahr ein Rezept ausstellen würde, was der Fall war, würde die Krankenkasse das auch abrechnen. Die Menge dessen, was ich letztendlich direkt mit mir nach Ungarn nehmen konnte, war nicht sehr groß, da ich auf dem Hinweg mit dem Flugzeug angereist bin. Denn so musste ich alle medizinischen Hilfsmittel und Medikamente im Handgepäck mitnehmen, weshalb sowohl mein Platz als auch meine zulässige Flüssigkeitsmenge begrenzt waren. Darüber hinaus benötigt man von seinem/seiner behandelnden Arzt/Ärztin in Deutschland eine Bescheinigung, dass man diese Medikamente und Hilfsmittel in der entsprechenden Menge mitführen darf. Darüber hinaus empfiehlt es sich, im Vornherein über den Flughafen einen Aufkleber für das Handgepäck zu besorgen, der genau dies auch noch einmal anzeigt, was ich allerdings bei meiner Ausreise nicht gemacht habe. Da ein Großteil dieses Aufwands mit den Kontrollen an Flughäfen und Beschränkungen für Flüge zu tun hat, ist eine Zug- oder Busfahrt – auch unter ökologischen Gesichtspunkten – eine Überlegung wert. Bei allen Reisearten hat es sich für mich aber grundsätzlich bewährt, kurze Erklärungen zu den Medikamenten und medizinischen Hilfsmitteln oder die Packungsbeilagen mindestens auch auf Englisch dabei zu haben, falls man doch einmal, zum Beispiel an einer Grenze, kontrolliert oder danach gefragt wird.
Der letzte Punkt, den ich bedenken musste und der mir wohl mit am meisten Kopfzerbrechen bereitete hat, war die Unterkunft. Ich musste in meinem Fall dafür sorgen, dass meine Unterkunft in meiner Einsatzstelle und auch bei Seminaren, die wir zur Vor- und Nachbereitung in Deutschland hatten, ein privates Badezimmer für mich besaß. Dafür habe ich vor dem Beginn des Freiwilligendienstes die aussendende Organisation und meine Ansprechperson im Einsatzland kontaktiert.