Sturm & Schauer: Ankommen
"Du siehst schockiert aus", stellt mein Kollege von der ruandischen Nationalkommission korrekt fest. Es ist mein erster Arbeitstag. Ich ahnte nicht, dass ich bereits so früh lernen würde, wie das Land der tausend Hügel mit seiner bedrückenden Vergangenheit umgeht.
In meinem Einführungsgespräch erfahre ich also, dass mein Vorgesetzter seine Brüder während des Genozids 1994 verlor. All meine Kolleginnen und Kollegen, so finde ich im Laufe meines Aufenthalts heraus, tragen Lasten der Vergangenheit mit sich herum. Und dennoch findet man weder Verbitterung noch Hass. "Alles, was wir haben, ist das Jetzt. Ein Leben in der Vergangenheit ist kein Leben", beteuert der Generalsekretär. Man ist bestrebt, ein neues Ruanda zu konzipieren.
Dämmerung: Vergangenheit, Präsenz, Zukunft
Das ist gelungen. Niemand unterscheidet mehr zwischen Hutu und Tutsi. Zumindest aus meiner Beobachterperspektive scheint es, als sei das Land vereint. Schließlich teilt man die gleiche Kultur, spricht die gleiche Sprache. Die strikte Rassentrennung wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von europäischen Kolonialherren konstruiert. Darüber gibt es mittlerweile auch in Ruanda keine Zweifel mehr.
Für Deutsche ist Vergangenheitsbewältigung ebenfalls ein großes Thema. Der Unterschied: In Deutschland lebten in der Zeit nach dem Holocaust kaum Juden. Opfer und Täter liefen sich also nicht täglich über den Weg. Der andauernde Versöhnungsprozess zwischen Deutschen und Juden wird so womöglich erleichtert. In Ruanda ist das anders. Hutu und Tutsi mussten lernen, miteinander zu leben, lernen, einander zu vergeben. Diese Entwicklung persönlich vor Ort zu erleben, ist die wohl wertvollste menschliche Erfahrung meiner Zeit in Ruanda.
Sonnig bis heiter: Arbeit & Alltag
Doch auch beruflich lerne ich dazu. Schnell mache ich mich mit der Arbeit der UNESCO-Kommission Ruanda (CNRU) vertraut. Einerseits ist sie ans Bildungsministerium angedockt und verwirklicht so in erster Linie nationale Projekte. Andererseits bewegt sie sich im Feld einer internationalen Organisation, den Vereinten Nationen, und setzt dementsprechend UNESCO-Themenschwerpunkte: Bildungsgerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung, Geschlechtergleichheit, Kulturerbe.
Ich habe das Glück in allen vier CNRU-Abteilungen – Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation – mitzuwirken. So besuche ich UNESCO-Projektschulen (Bildung), bereite Workshops für die Africa Code Week vor (Wissenschaft), organisiere einen Poetry Slam (Kultur), und schreibe Veranstaltungsberichte für die Website auf Englisch und Französisch (Kommunikation).